Die „Zeitung der Zukunft“ erobert alle Sinne
Lavendelfelder der Provence riechen, Rotwein schmecken, Meereswellen spüren – all das verspricht die „Zeitung der Zukunft“, entwickelt von „NewsDesign“-Studenten des Journalisten-Zentrums Haus Busch in Hagen. Ihr Projekt, das den ersten Preis beim renommierten „Tomorrows Newspaper Design Contest“ gewann, setzt auf einen revolutionären „BrainBone“-Neurotransceiver.
Basierend auf Erkenntnissen über „Extremely Low Frequencies“ (ELF) aus dem 20. Jahrhundert, übermittelt dieser kieselsteingroße Chip Nachrichten direkt ins Gehirn. Der Nutzer wählt Inhalte mittels eines Guides aus – Politik, Kultur oder Wirtschaft – und erlebt Berichte mit allen Sinnen. Eine Reportage über den Wahlkampfabend in Rom kann so nicht nur visuell und auditiv, sondern auch durch Gerüche, Geschmäcker und Gefühle vermittelt werden. Man hört die Stimmen der Politiker, riecht das Parfum der Umstehenden und spürt den Windhauch der wehenden Fahnen.
Der „BrainBone“ funktioniert dabei als Vermittlungsstelle zwischen einem zentralen Informationspool und dem Gehirn des Nutzers. Die Redaktion, aufgeteilt in klassische Ressorts wie Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport, stellt täglich neue Inhalte bereit. Ein spezieller Guide mit Barcodes ermöglicht die Auswahl der gewünschten Themen. Mit einem einfachen Scan und einem Druck auf die Start-Taste beginnt das multisensorische Erlebnis. Das Lesen von Nachrichten wird zu einer immersiven Erfahrung, bei der der Leser die Welt hautnah spürt, als wäre er selbst vor Ort.
Doch die Erfindung hat auch ihre Grenzen: Ethik-Filter sorgen dafür, dass verstörende Inhalte wie Kriegsszenen oder Gewaltberichte blockiert werden. Die Macher des „BrainBone“ sind sich der Verantwortung bewusst und haben Schutzmechanismen eingebaut, um Missbrauch zu verhindern. Gerade sensible Bereiche wie Berichte aus Krisengebieten werden gefiltert, sodass keine verstörenden Bilder oder Eindrücke entstehen können. Die Entwickler warnen jedoch vor der Gefahr, dass der „BrainBone“ von schwarzen Schafen für illegale Inhalte missbraucht werden könnte.
Trotz dieser Bedenken sehen die Erfinder im „BrainBone“ einen Meilenstein in der Medienlandschaft. Zeitungsdesigner Hans-Peter Janisch, der als Dozent am Haus Busch die Projektgruppe betreute, zieht Parallelen zur Erfindung des Buchdrucks. „Zeitungslesen würde zur sinnlichsten aller menschlichen Handlungen“, erklärt er. Die Vorstellung, Nachrichten nicht nur zu lesen, sondern sie mit allen Sinnen zu erleben, könnte die Art der Informationsvermittlung revolutionieren.
Der „BrainBone“ könnte auch das Potenzial haben, Bildungsangebote zu verändern. Geschichtsunterricht, bei dem die Schüler eine Schlacht „miterleben“, oder Geografieunterricht, bei dem sie die Landschaften fremder Länder „erschnuppern“ können, wird dadurch vorstellbar. Auch Reisejournalismus würde neue Dimensionen erreichen: Statt nur zu lesen, wie es in der Provence duftet, könnte man den Duft des Lavendels tatsächlich wahrnehmen.
Die „Zeitung der Zukunft“ steckt noch in den Kinderschuhen, doch das Konzept zeigt, wie sich die Medienwelt in den kommenden Jahrzehnten wandeln könnte. Vielleicht wird schon bald der klassische Zeitungsdruck von dieser innovativen Technik abgelöst. Bis dahin bleibt der „BrainBone“ ein faszinierender Ausblick auf eine mögliche Zukunft, in der Nachrichten alle Sinne ansprechen.
Den Originaltext kann in der WELT vom 17. Mai 2001 nachgelesen werden.