Tomorrow’s Newspaper Design Contest

Grenzgänger zwischen Vision und Wirklichkeit: Marek Schirmer, Teil des ausgezeichneten Design-Teams aus Hagen, gewinnt Zukunftspreis für „Zeitung im Kopf“.

Wie fühlt sich eine Schlagzeile an? Wie schmeckt eine Reportage? Und kann Journalismus riechen? Studierende des Journalistenzentrums Haus Busch in Hagen haben sich nicht mit diesen Fragen begnügt – sie haben sie beantwortet. Mit ihrem Entwurf einer voll sensorischen „Zeitung der Zukunft“ haben sie beim internationalen Tomorrow’s Newspaper Design Contest in New York den Hauptpreis gewonnen. Ihr Konzept: ein neuronales Interface namens BrainBone, das Nachrichten nicht mehr liest – sondern direkt erlebt.

The Brainbone (Grafik: Studierende des NewsDesign-Kurses)
The Brainbone (Grafik: Studierende des NewsDesign-Kurses)

Ausgezeichnet wurde das Projekt als „Best of Show“ unter über 450 Einsendungen aus aller Welt. Für die Jury ein „bahnbrechender Entwurf, der journalistisches Erzählen radikal neu denkt“. Die Hagener Studierenden, Absolventinnen und Absolventen des Weiterbildungsgangs Multimedia NewsDesign, entwerfen mit ihrem Prototypen eine Zukunft, in der Medieninhalte direkt in das Gehirn übertragen werden – mit allem, was dazugehört: Geräuschen, Gerüchen, Geschmäckern, Berührungen.

Sensorisches Storytelling im 21. Jahrhundert

Das Herzstück der Vision ist ein kaum daumengroßer Neuro-Transceiver, der zwischen digitalem Content-Pool und menschlichem Nervensystem vermittelt. Nachrichten werden dabei nicht über Displays oder Lautsprecher vermittelt, sondern über elektrische Impulse im limbischen System – das Kopfkino wird zur Realität. Die Themenauswahl erfolgt per Laser-Interface über einen täglichen Content-Guide, der wie ein klassisches Zeitungsblatt funktioniert, aber Barcode-gesteuert ist.

The Brainbone (Grafik: Studierende des NewsDesign-Kurses)
The Brainbone (Grafik: Studierende des NewsDesign-Kurses)

Doch die Hagener wollten keine Blackbox bauen. Ethik, so betonen sie, sei ein zentraler Bestandteil ihres Entwurfs: Kriseninhalte, Gewaltbilder oder moralisch sensible Themenbereiche werden von intelligenten Filtern blockiert – ein Schutzmechanismus gegen Manipulation und Reizüberflutung. Die Vision mag futuristisch sein, doch sie stellt Fragen, die schon heute relevant sind.

Design trifft auf Haltung

Die Idee entstand nicht in einem Silicon-Valley-Labor, sondern in einem Fachseminar am Journalistenzentrum Haus Busch, einer der wenigen Ausbildungsstätten in Deutschland, die Journalismus, Grafikdesign und digitale Technologien systematisch verzahnt. „Gestalten reicht heute nicht mehr – man muss Inhalte denken können“, sagt Ausbildungsleiterin Sabine Spieckermann. Der Kurs „Multimedia NewsDesign“ vermittelt neben Layout und Infografik auch Recherche, Medienethik, Animation, Datenjournalismus und rechtliche Grundlagen.

Das Konzept des BrainBone entstand in nur sechs Wochen, als interdisziplinäres Teamprojekt. Unterstützt wurden die Studierenden vom renommierten Zeitungsdesigner Hans-Peter Janisch, der das Projekt betreute. Für ihn ist die Idee mehr als ein Gag aus der Glaskugel: „Die Verschmelzung von Inhalt und Sinneseindruck ist ein logischer nächster Schritt im Storytelling. Wenn Gutenberg wüsste, was kommt…“

Ein Hauch Provence im Kopf – und ein erster Preis in der Hand

Die internationale Fachwelt zeigte sich beeindruckt. Juror Bob Rose von der Society for News Design lobte das Projekt als „mutig, poetisch und konsequent zu Ende gedacht“. Dass der Wettbewerb von der University of Missouri ausgerichtet wird, einem der bedeutendsten Medieninstitute der USA, unterstreicht die Tragweite des Erfolgs.

Dabei klingt alles wie aus einem Roman von William Gibson: Der Leser wählt eine Reportage über eine Weinernte in der Provence – und schmeckt tatsächlich den Rotwein, hört das Knirschen der Kieselsteine unter den Stiefeln, riecht die Lavendelfelder. Kein Bildschirm, kein Papier – nur eine Erfahrung, direkt im Kopf.

Nach dem Preis: reale Karrieren

Was bleibt, wenn die Euphorie über den Preis abgeklungen ist? Für viele der Projektbeteiligten ist der nächste Schritt schon gemacht: Praktika bei großen Redaktionen, Anstellungen in Agenturen oder der Weg in die Selbstständigkeit. Die Nachfrage nach Allroundern, die journalistisch denken und visuell arbeiten können, steigt.

In einer Zeit, in der Medienhäuser händeringend nach Innovation suchen, haben ein paar junge Kreative aus Hagen gezeigt, wie weit man gehen kann, wenn man den Mut hat, Journalismus neu zu denken. Nicht nur mit Augen und Ohren – sondern mit allen Sinnen.

Mehr zu Thema